Das Wuchsverhalten der Obstbäume und allgemeines zum Schnitt
Das Wuchsverhalten des Obstbaums wird im Wesentlichen durch den Veredelungspartner geprägt, der tief in der Erde steckt und von dem man nur den kleinsten Teil sieht, der sogenannten Unterlage. Sie bildet die Wurzeln aus, die den Baum ernähren.
Es ist bedeutend zu erwähnen, dass es eine ganze Anzahl unterschiedlicher Unterlagen gibt und dass nicht nur die Wuchshöhe, sondern genauso die Lebensdauer, die Vitalität und sogar der besondere Geschmack der Früchte, von der Art der Unterlage abhängen.
Die Unterlagen lassen sich in zwei verschiedene Typen einteilen: Die Sämlingsunterlagen, das sind generativ oder geschlechtlich, aus Samen vermehrte. Sie bringen große, starkwüchsige- und langlebige Bäume hervor, die sehr widerstandsfähig gegenüber den verbreiteten Obstbaumkrankeiten sind.

Als zweites die vegetativ, ungeschlechtlich, meist aus Wurzelabrissen vermehrten. Von ihnen gibt es eine ganze Anzahl, die für die kleinen Baumformen verwendet werden. Sie bleiben so klein, weil ihr Wurzelsystem schlechter entwickelt ist und sie nicht bis in tiefere Bodenschichten vordringen können. Es reicht nicht einmal aus, den Baum im Boden zu verankern. Die Vielzahl der Plantagenbäume, die schätzungsweise mehr als 90% der weltweiten Erntemenge an Obst produzieren, ist zeitlebens auf einen Stützpfahl angewiesen. Ohne ihn würden sie unter der Last der Früchte zusammenbrechen. Ihre Lebenserwartung im Plantagenanbau beträgt maximal 15 Jahre, meist deutlich weniger. Ein Baum auf Sämlingsunterlage erreicht dagegen ein Alter von 90 bis 100 Jahren.
Waren die ersten schwachwüchsigen Unterlagentypen Zufallsfunde, begann man ab Anfang des 20. Jahrhunderts sie zu systematisieren und später gezielt zu züchten, um z. B. die Neigung für gewisse Krankheiten von vorn herein auszuschließen. Das gelingt dann zwar bei Krankheit 1 und 2, aber sie sind dann umso anfälliger für Krankheit 3. (Die Unterlagen der Obstbäume, Kreisverband für Gartenbau und Landespflege Fürstenfeldbruck) Diese Problematik soll gar nicht weiter vertieft werden, nur noch so viel:
Exkurs: Bio-Obst
Fast das gesamte Bio-Obst wird auf solchen Unterlagen angebaut . Sicherlich ist die Düngung rein organisch, aber wenn der Gesetzgeber nicht eine Vielzahl von Ausnahmegenehmigungen gewähren würde, die es den Obstbauern erlaubt biologisch abbaubare Gifte gegen Pilzkrankheiten zu verwenden, käme kein Bio-Obst mehr in den Handel. Im Falle der Schadinsekten ist das noch bedenklicher. Sie werden mit Pyrethrum bekämpft, einem Gift, das aus einer Margeritenart gewonnen wird, die in Afrika wächst. Die dortigen Bauern, die diese Margeriten kultivieren, müssen immer höhere Dosen hochgiftiger Präparate anwenden und tragen selbst massiveste gesundheitliche Beeinträchtigungen davon. Der Anbau verursacht schwerste Umweltschäden und die Felder auf denen die Margeriten gewachsen sind, brauchen Jahrzehnte, bis sie wieder anderweitig genutzt werden können. Aber hier ernten wir dann „Bio-Obst“.
Was kann man denn von einem Baum erwarten, der so schwach wurzelt, dass er sich nicht selber halten kann? Der sich seine Mineralstoffe nicht aus den tieferen Bodenschichten holen kann, die ihm die nötige Vitalität verschaffen würden? Der so anfällig ist für Pilzkrankheiten, dass er jede Woche gespritzt werden? Gesundes Obst doch bestimmt nicht.
Im Hausgarten noch tolerierbar und bei viel Pflege auch erfolgversprechend, verstärken sich die Probleme in großflächigen Monokulturen. Da gibt es keine Vögel, die die Schadinsekten vertilgen könnten, da ist die Erde um die Bäume herum nicht gemulcht, so dass wenigstens die oberflächennahen Wurzeln ihre Nährstoffe aus belebtem Boden ziehen könnten.
Wie schon gesagt, gibt es an Vielzahl an Unterlagen, so auch mittelstark wachsende, die etwa 4-5 m hoch werden, einen stabilen Stamm haben und durchaus ein Alter von 30 bis 40 Jahren erreichen können. Sie haben sicherlich ihre Berechtigung in einem kleinen Garten. Ich will mich aber in diesem Buch auf Bäume mit Sämlingsunterlage beschränken, weil auch die mittelstark wachsenden in ihrem Wurzelvermögen eingeschränkt sind. Und es kommt noch etwas anderes hinzu: Vegetativ vermehrte Pflanzen sind genetisch vollkommen identisch mit ihrer Mutterpflanze. Über lange Zeiträume gedacht bedeutet das, dass sie sich nicht an veränderte Umweltbedingungen anpassen können. Sämtliche Exemplare der M 9, so der Name der weltweit in hunderten Millionen verbreiteten schwachwüchsigen Unterlage, gleichen hundertprozentig der englischen Mutterpflanze aus dem beginnenden 20. Jahrhundert.
Alle schwachwüchsigen Unterlagen sind im Grunde genommen Krüppel, weil ein wesentlicher Teil ihrer Körperlichkeit, nämlich die Wurzel, in ihrer Funktion eingeschränkt ist.
Hochstamm oder Halbstamm?
Dass ein Anbau giftfreien Obstes nur auf einer starkwüchsigen Sämlingsunterlage erfolgversprechend ist, dürfte ausreichend begründet sein. Nun steht die Frage an, für welche Baumform man sich entscheidet.
Für den Halbstamm, bei dem die Leitäste, die zusammen mit der Stammverlängerung das Grundgerüst des Baumes bilden und in einer Höhe von 1,20 m bis 1,40 m ansetzen, oder für den Hochstamm, bei dem die Leitäste erst bei 1,80 m und höher liegen. Der Jungbaum wächst von sich aus in den ersten zwei Jahren nach der Veredelung eintriebig gerade aufrecht, verzweigt sich nur zaghaft und bildet dann im dritten Standjahr in etwa 1,20 m bis 1,30 m Höhe die ersten kräftigeren Zweige, aus denen der Baumschulist die künftigen Leitäste eines Halbstamms zieht. Für die Hochstammerziehung werden diese Triebe entfernt und somit die Bildung einer zweiten, etwa 50 cm höher ansetzenden, Leitastetage angeregt.
Für die Arbeiten am Baum, die Erziehungsmaßnahmen und später die Ernte, sind diese 50 cm Unterschied recht bedeutend, denn wenn man das beim Halbstamm in den ersten Jahren alles vom Boden aus machen kann, braucht man für Schnittmaßnahmen am Hochstamm immer eine Leiter. Von der Wüchsigkeit her, von der Lebensdauer oder der zu erwartenden Erntemenge her, unterscheiden sich der Hoch- und der Halbstamm überhaupt nicht, sofern es sich jeweils um die gleiche Sorte handelt.
Der einzige Unterschied zwischen beiden Baumformen liegt nicht im Baum selbst, sondern besteht darin, dass beim Hochstamm eine Unternutzung möglich ist, beim Halbstamm nicht. Hochstämme wurden als Straßenbäume gepflanzt oder waren Teil der Streuobstwiesen, weil darunter das Vieh weiden konnte.
Einen Hochstamm zu pflanzen, im Glauben damit etwas besonders Gutes für die Natur zu tun, ist ein Irrtum. Man erschwert sich damit nur unnötig den Obstanbau. Selbst auf Streuobstwiesen tut man sich heutzutage keinen Gefallen mit einem Hochstamm. Streuobstwiesen werden nur in den seltensten Fällen heute noch von größeren Tieren wie Rindern beweidet. Stattdessen wird die Wiesenpflege meist von großen, schweren Traktoren durchgeführt. Die können nicht so dicht an den Halbstamm heranfahren und das hat den Vorteil, dass ein größerer Bereich um den Baum herum nicht festgefahren wird. Die Bodenverdichtung, die sich äußerst negativ auf die Bäume auswirkt, findet nicht direkt im Wurzelbereich statt.
Sortenbedingte Eigenschaften
Was es noch über das Wuchsverhalten eines Obstbaums zu sagen gibt, sind die sortenbedingten Wuchseigenschaften. Die Unterlage bestimmt zwar die Stärke des Wachstums im Allgemeinen und z. B. auch die generelle Frosthärte. Wie der Baum aber wächst, ob mehr in die Breite und dann eine eher flache Krone bildet, oder pyramidal und somit auch sehr hoch wird, ist in der Edelsorte genetisch angelegt.


Noch zwei weitere Kronenformen kann man bei Apfelbäumen unterscheiden. Beide sind eher kugelförmig, die eine aber gedrungen, die andere hochgebaut.


Die Mehrzahl der Birnensorten bildet, so erstaunlich das klingen mag, eine birnenförmige Krone. Schaut man von weitem auf eine Obstbaumallee, etwa in einer hügeligen Gegend, lassen sich schon aus hunderten Meter Entfernung Apfel- und Birnenbäume zweifelsfrei unterscheiden.
Kirschbäume bilden eine kugelige Krone, etwa so wie man es bei einem Beispiel der Apfelbäume gesehen hat. Bei Pflaumen/Zwetschgen ist die Kronenform eiförmig-oval.


Man kann aus dem hier Gezeigten sehen, dass die Kronenformen sich in den Formen der Früchte wiederfinden. Beide werden von den gleichen Kräften geformt.
Schon an dem Winkel in dem sich die Äste am Jungbaum von der Stammverlängerung aus verzweigen, lassen sich Rückschlüsse auf die Kronenform im Alter ziehen: Je größer er ist, umso flacher wird die Krone sein. Je spitzwinkliger, umso höher. So kann man sich beim Kauf in der Baumschule, die Bäume danach aussuchen.
Auch die Wuchsstärke der verschiedenen Edelsorten ist wesentlich unterschiedlich. Selbst wenn sie alle auf der gleichen starkwüchsigen Unterlage stehen, variiert der jährliche Zuwachs und damit die Größe des Baumes im Alter beträchtlich. In den Sortenbeschreibungen am Ende des Buches, ist das vermerkt. Es ist wichtig zu wissen, wie groß ein Baum in späteren Jahren werden wird. Ist nicht so viel Platz im Garten, sollte man nicht unbedingt so etwas Mächtiges wie einen ‚Gravensteiner‘ pflanzen. Die Wuchsstärke kann man aber dem Jungbaum nicht ansehen, denn das anfängliche Wachstum ist, mit wenigen Ausnahmen, bei den meisten Sorten ziemlich stark.
Der Schnitt
Nun sollen die Maßnahmen besprochen werden, mit denen der Mensch in das Wachstum der Obstbäume eingreift, allen voran: der Schnitt.
Deshalb zuerst die Begründung, warum ein Schnitt überhaupt nötig ist. Wäre es nicht viel natürlicher die Bäume sich selbst zu überlassen? Schon aus dem ersten Kapitel „Der junge Baum“ ( Kap. 1 Abb. 4 Der Veredelungsschnitt ) sollte deutlich geworden sein, dass ein Obstbaum kein rein natürliches Wesen mehr ist, denn durch die Veredelung, das Zusammenfügen zweier verschiedener Pflanzen, ist etwas entstanden, was in der Natur so nicht vorkommt.
Wie ein Obstbaum wächst, wenn er nicht geschnitten wird, soll Abb.8 zeigen.
Ein wildes Durcheinander dickerer und dünnerer Triebe.

Der Baum bringt tolle Früchte hervor, ohne Zweifel, wie Abb. 9 zeigt, aber eben nur ganz an der Außenseite. Das Kroneninnere ist so dicht und so beschattet, dass dort keine Frucht reifen kann. Nicht einmal Schattenfrüchte. Die produktive Fläche des Baumes ist sehr klein (Kap 1 Abb. 19 „Produktive Zone“ ). Der Baum macht jede Menge Triebe im Kroneninneren, doch haben diese keine Bedeutung für das Wachstum der Früchte. Sie verhindern es sogar.

Durch den Schnitt soll ein Gleichgewicht geschaffen werden zwischen Triebwachstum und Fruchtbildung. Beides verbraucht die Energie, die der Baum im Laufe des Sommers durch die Fotosynthese gewinnt. Der Mensch will sie für seine Zwecke möglichst gewinnbringend einsetzen. Auf der nächsten Seite ist ein, noch etwas jüngerer Apfelbaum, abgebildet, der sehr zweckmäßig geschnitten ist.

Man sieht, dass alleine an einem der Leitäste etwa genau so viele Früchte reifen, wie bei dem auf Abb. 9 am ganzen Baum. Sehr schön sind hier auch die Leitergassen zu sehen, die bis ins Alter des Baumes eine gefahrlose Ernte ermöglichen. An die dicken Leitäste kann problemlos eine Leiter gestellt werden, während das bei den ungeschnittenen Bäumen nicht möglich ist und so die Ernte zu einem gefährlichen Unterfangen wird. Und man sieht auch, dass dieser Apfel eine so lockere Krone hat, dass überall Licht einfallen kann und im ganzen Baum Sonnenfrüchte reifen können.
Je nachdem in welchem Entwicklungsstadium sich ein Baum befindet, unterscheidet man die Schnittmaßnahmen: Als erstes erfolgt der „Pflanzschnitt“. Er ist anfänglich schon besprochen wurden (Kap. 1 „Abb. 8 Pflanzschnitt“). Er ist die Weichenstellung für die zukünftige Entwicklung. Danach spricht man von „Erziehungsschnitt“. Je nachdem welche Methode man anwendet, kann er bis zum achten Standjahr dauern. Dieser ist die entscheidende Weichenstellung für die Zukunft. Hierbei kommt es darauf an, den Baum in seinem Traggerüst so aufzubauen, dass eine für die Erzeugung von guter Fruchtqualität optimale Form gefunden wird.
Da wurde und wird immer noch viel experimentiert welche Methode die beste ist. Die meiste Zeit des Baumlebens wird dann der „Erhaltungsschnitt“ praktiziert. Zum einen wird dabei das Fruchtholz ständig erneuert, also die Triebe, an denen die Früchte reifen. Das sind meist kurze Triebe, die bessere Fruchtqualitäten ermöglichen, wenn sie nicht zu alt sind. Außerdem korrigiert man solche Austriebe, die z. B. ins Kroneninnere wachsen und hier eine unerwünschte Beschattung erzeugen würden.
Die Höhe der Stammverlängerung muss ebenfalls ständig kontrolliert werden, wenn sich keine Baumriesen bilden sollen. Ist der Baum alt, versucht man ihn in seiner Statik zu stabilisieren. Alte Bäume tragen nämlich besonders reich und es können ganze Astpartien unter der Fruchtlast ausbrechen. Dann spricht man von Verjüngungsschnitt. Alle diese Maßnahmen werden im Folgenden ausführlich besprochen.