Erziehungsschnitt
Konventionell
In der konventionellen Obstbaumerziehung wird eine sogenannte Pyramidenkrone angestrebt. Das heißt, unten ist die Krone am breitesten und verjüngt sich nach oben hin immer mehr. Also fast so, wie auch der Baum von sich aus wächst, (siehe Kap. 2 Abb. 14). Nur dass man ihm meist nicht so viele Leitastetagen zugesteht, sondern jede zweite schon im Ansatz unterbindet und zu Fruchtästen umwidmet.
Die Erziehungsarbeit besteht darin, die Leitäste immer wieder anzuschneiden, was ihr Längenwachstum einschränkt, dafür das Dickenwachstum und damit die Stabilität des Astes erhöht.
Auf der Astoberseite wachsende Triebe werden entfernt, sie würden das Kroneninnere unnötig beschatten.
An den Leitästen zieht man sich Fruchtäste heran, an denen dann, meist um das sechste Standjahr herum, das erste Fruchtholz Blütenknospen bilden wird.
Fruchtholz, auch Fruchtspieße genannt, sind Kurztriebe. Sie werden keiner Erziehungsmaßnahme unterzogen. Haben sie sich verausgabt, werden sie weggeschnitten.
Fruchtäste dagegen werden immer wieder angeschnitten um ihre Stabilität zu stärken. Sie sind den Leitästen untergeordnet, das heißt, sie bleiben kleiner und kürzer als erstere.
Während der ganzen Erziehungszeit muss man darauf achten, die pyramidale Form des Baumes zu erhalten. Dazu werden die Leitastebenen, genau wie die Fruchtäste, die direkt an der Stammverlängerung sitzen, immer wieder entsprechend eingekürzt. Haben sich die ersten nennenswerten Erträge eingestellt, ist der Erziehungsschnitt beendet und alle weiteren Schnittmaßnahmen werden als Erhaltungsschnitt bezeichnet.

Diese Methode ist relativ leicht anzuwenden, weil sie keine wesentliche Veränderung des ursprünglich angelegten Wuchsverhaltens mit sich bringt. Einige Nachteile sind schon erwähnt worden, der größte ist aber die mit fortschreitendem Alter immer weiter ansteigende Dominanz der Stammverlängerung. So wird diese, besonders bei starkwüchsigen Sorten, so groß, dass weder Pflegemaßnahmen, noch die Ernte gefahrlos durchgeführt werden können. Unterbleibt aber der Pflegeschnitt beim älteren Baum, überbaut dieser die Krone, weil er ja oben immer den stärksten Zuwachs hat, und man hat dann im unteren Bereich keine Früchte mehr, weil ihnen das nötige Licht fehlt und da wo Früchte wachsen, kommt man nicht heran.
Die Jungbaumerziehung nach der Oeschberg-Palmer-Methode
Hier ist die Krone nach oben hin ganz offen. Luft und Licht gelangen ungehindert bis zu den untersten Ästen. Dadurch, dass die vier Leitäste (zwei davon sind wegen der schematischen Darstellung nicht abgebildet) nur wenig schwächer sind als die Stammverlängerung, erreicht diese kein solches Übergewicht wie auf den Bäumen mit Pyramidenkronen. Der Oeschbergbaum wächst darum auch nicht so stark in die Höhe, der Wuchs geht mehr in die Breite. So sind Ernte und Pflege leichter zu bewerkstelligen.

Jeder Leitast wird von drei Fruchtästen begleitet. An der Stammverlängerung werden 5 Fruchtäste erzogen. Sie sind über den Leitästen angeordnet, weil so die Leitergasse frei bleibt. Gerade im unteren Bereich des Baumes, wo er leicht zu ernten ist, kann viel Obst wachsen, da es auch hier gut besonnt wird.
Die Baumerziehung ist in den ersten Jahren deutlich aufwendiger als bei der konventionellen Erziehung, dafür ist aber die Pflegearbeit während des Ertragsalters und in der Altersphase wesentlich einfacher und benötigt weniger Zeit. Das liegt auch daran, dass die Erträge höher sind, mehr Energie des Baumes in die Fruchtbildung und nicht so sehr in das vegetative Wachstum geht.
Der Prozess der Jungbaumerziehung ist oft erst im 9. Jahr abgeschlossen.
Der Autor hat sich 2014 im Rahmen einer Fortbildung zum ersten Mal mit der Oeschbergmethode befasst. Um Obstbäume, die nach diesem Prinzip erzogen worden sind, fotografisch abbilden zu können und die Überlegenheit dieser Methode gegenüber dem konventionellen Obstbaumschnitt zu demonstrieren, war er sehr dankbar auf die Erfahrungen, Publikationen, Fotos und Lehrmaterialien von Kollegen aus Süddeutschland aufbauen zu können. Dort ist die Weiterentwicklung des Oeschbergschnittes nach Hans Palmer vor allem durch Rudolf Thaler, Heinz Ritter und Eduard Eckl vorangetrieben worden. Rudolf Thaler hat mir viele Fotos überlassen, aus der Broschüre von Eduard Eckl konnte ich wertvolle Erkenntnisse ziehen.
(Naturgemäße Baumerziehung, Eduard Eckl)

Die Abb. 3 zeigt den Baum in der Draufsicht.
Die vier Leitäste „LA“ sind jeweils um annähernd 90° versetzt und man sieht, dass die Fruchtäste „FA“ nach links und rechts in die Leitergassen „LG“ ragen. Und zwar die unteren, also die mit der größten Ausladung, jeweils nach links versetzt.
Dann ragen die mittleren Fruchtäste nach rechts in die Leitergassen.
Die oberen Fruchtäste sind an der Unterseite der Leitäste angeordnet.
Die Fruchtäste an der Stammverlängerung „FASV“ liegen oberhalb der Leitäste.
Um solch einen gleichmäßigen Kronenaufbau zu erreichen, werden gleich beim Pflanzschnitt die Weichen gestellt.
Die Leitäste zeigen in die vier Himmelsrichtungen, aber sie müssen, und das ist anders, als im Kapitel 1 „Der junge Baum“ beschrieben, in der Höhe versetzt sein (siehe Abb. 5). Da sie sich viel stärker entwickeln als Leitäste an der Pyramidenkrone, kommt es sonst zu solchen Konflikten, wie sie auf Abb. 4 zu sehen sind.
Größere Abstände in der Höhe sind vonnöten, sie dürfen vom untersten bis zum obersten Leitast 50 cm betragen. Man schneidet alle Leitäste möglichst in die Saftwaage, d. h. auf eine Höhe.

Exkurs: Saftwaage und Blattmasse
Wie wir aus dem Gesetz der Spitzenförderung wissen, ist der Austrieb in die Höhe auf horizontaler Ebene im Baum gleichmäßig stark. Das bezeichnet man als Saftwaage. Aber der Austrieb hängt außerdem von der Anzahl der Blätter, der sogenannten Blattmasse ab. Je größer sie ist, umso stärker wird der Austrieb sein.



Techniken bei der Jungbaumerziehung: Spreizen
Auf Abb. 6 und 7 ist gezeigt, dass ein einfaches Spreizholz, beidseitig spitz angeschnitten, für eine bessere Stellung des Leitastes sorgt. Man muss das Holz nur jeweils hinter einen Knospenansatz stecken, dann hält es selbst den stärksten Stürmen stand.
Augen (Knospen) ausbrechen
Knospen, die auf der Astoberseite liegen, treiben stark aus, sind aber für die Erziehung des Jungbaums meistens eher hinderlich. Statt zu warten, bis sie im nächsten Jahr abgeschnitten werden, kann man sie auch vorsorglich gleich herausbrechen. Oft wird das auch als „Augen ausblenden“ bezeichnet. Das lässt sich ganz einfach mit dem Fingernagel bewerkstelligen. So kann man ganz unbedenklich die obersten beiden Knospen an den Leitästen ausbrechen. Befinden sich noch mehr Knospen auf der Astoberseite, sollte man aber erst schauen, ob durch ein Ausbrechen nicht zu viel an Blattmasse weggenommen wird.
Auge-Umkehr-Schnitt
Eine weitere Möglichkeit die Bäume mehr in die Breite zu ziehen, ist durch den sogenannten Auge-Umkehr-Schnitt gegeben, den Helmut Palmer für die Jungbaumerziehung nutzbar gemacht hat. Schneidet man normalerweise die Leitäste so an, dass man eine Knospe wählt, die nach unten und außen zeigt, wählt man hierbei erst die nächst folgende, die also nach oben und innen zeigt. Diese wird stärker austreiben, weil sie auf der Trieboberseite liegt und bewirkt durch die Beschattung, die sie auf den unteren Trieb auswirkt, dass dieser gerade weiterwächst. Ohne die Beschattung würde er sich, dem Lichte folgend, nach oben krümmen. Im nächsten Jahr wird der obere Trieb herausgeschnitten. Diese einfache Maßnahme führt zu einem deutlich gefördertem Breitenwachstum und hilft viel aufwendige Formierungsarbeit zu ersparen, wenn sie sie auch nicht ganz ersetzen kann.

Austrieb fördern
Mit einem halbmondförmigen Einschnitt oberhalb einer Knospe, der bis auf den Holzkörper geführt wird, lässt sich der Austrieb dieser Knospe fördern. Die Saftleitungsbahnen nach oben hin werden dadurch unterbrochen und der volle Saftstrom kommt nur diesem Auge zugute. Das begünstigt dessen Austriebsverhalten. Man wendet dieses Verfahren an, wenn an einem Jungbaum zu einer Seite hin keine brauchbaren Austriebe zu finden sind. Meist ist das die Nordseite mit der er im Baumschulquartier gestanden hat. Oder bei der gezielten Förderung des Austriebs der Fruchtäste. Da dieser Schnitt im jungen Holz geführt wurde, verheilt die Wunde rasch wieder und man braucht auch keine Sorge zu haben, dass andere Partien des Baum dadurch beeinträchtigt werden.

Binden
Um einen Ast tiefer zu stellen, kann man ihn herunterbinden, z. B. um ihn zur Fruchtbildung anzuregen. Sehr gut eignen sich dafür einjährige Weidenruten, da diese den Ast nicht einschnüren, denn sie sind nach erreichter Stabilität verrottet. Nimmt man eine Schnur, bindet man sie in Form einer Achterschlinge. Der Ast wird nicht umschnürt, sondern kann nach einer Seite hin immer frei wachsen. Genausogut kann man Äste auch hochbinden, z. B. um sie im Wuchs zu fördern.


Pinzieren
Pinzieren ist eine Technik um den Höhenwuchs eines Triebes zu begrenzen. Das macht man im Sommer. Dazu wird der obere Teil des Neuaustriebs (Abb. 12) mit dem Fingernagel abgeknipst. Bei der Oeschberg-Erziehung wird diese Technik nur benutzt, um aufkeimende Triebe auf den Oberseiten der Leitäste klein zu halten. Sie werden nicht zur Fruchtbildung gebraucht, sollen der Rinde lediglich als Schutz vor Sonnenbrand dienen. Im Hitzesommer 2018 mit seiner extremen Trockenheit sind viele, auch ältere Bäume, schwer durch Sonnenbrand geschädigt worden.
