Der Naturgarten – Reflexionen

Als in Mitteleuropa in der Zeit um Christi Geburt von den Römern die ersten Gärten angelegt wurden, hatte man die Absicht, damit einen Raum zu schaffen, aus dem die unwirtliche Natur ausgesperrt war.

Das althochdeutsche Wort ‚gart‘ bedeutet Stock und mit mehreren ‚garten‘ wurde ein Stück Land von der Umgebung abgetrennt, um es vor Wildtieren zu schützen. Auch Steine, die man im Umkreis fand, wurden vor diesen ‚garten‘ aufgeschichtet, so dass sich dort verschiedene Sträucher ausbreiten konnten, die dem umzäunten Bereich zu einem günstigen Kleinklima verhalfen. Der Wind wurde gebremst, in Tallagen wurde die Kaltluft umgeleitet, so dass die im Garten angebauten Kulturpflanzen besser gedeihen konnten.

Gärten wurden in Klöstern angelegt, um Heilpflanzen zu ziehen und um die Mönche oder Nonnen mit Gemüsen zu versorgen, die durch Feldanbau nicht zu kultivieren waren, weil sie von Hasen oder Kaninchen weggefressen wurden. Auch die einfachen Landbewohner unterhielten Gärten für den Gemüseanbau, obwohl sie einen Teil ihres Bedarfs an Frischkost durch wild wachsende Pflanzen deckten. Später legte man Gärten an Schlössern an, in denen der Adel verschiedenen Freizeitvergnügungen nachgehen konnte. Als kunstvoll angelegte Parks, in denen Bäume und Hecken nach modischen Gesichtspunkten zurechtgestutzt wurden, dienten sie vor allem im Barock im Verbund mit prächtigen Schlossbauten und Wasserspielen der Demonstration von Macht, Reichtum und exklusivem Geschmack. Neben Nutzgärten für die adlige Küche gab es Ziergärten mit Gewächshäusern für Zitrusfrüchte und für exotische Pflanzen, die mit der Kolonialisierung nach Mitteleuropa kamen. Selbst die in den englischen Gärten angestrebte Natürlichkeit präsentierte sich als gepflegte Parklandschaft. Im asiatischen Raum war der Garten auch ein Ort zum kontemplativen Verweilen, artifiziell gestaltet und symbolisch aufgeladen.

Gärten gab es in allen Hochkulturen. Immer stand das Prinzip dahinter, sich vor einer ungeordneten, vielleicht sogar bedrohlichen Außenwelt abzuschirmen und einen geschützten Raum für die Menschen und ihre Pflanzen zu schaffen.

Mit dem Zeitalter der Industrialisierung entstanden im 19. und 20. Jahrhundert „Armengärten“ in Stadtrandgebieten, um armen Bürgern zu ermöglichen, ihre Ernährung und ihr Einkommen zu verbessern. 1911 gab es deutschlandweit 30.000 sogenannte „Arbeitergärten“, auch „Schrebergärten“ genannt, nach dem Leipziger Mediziner und Pädagogen Daniel Gottlob Moritz Schreber (1808-1861). Die Ordnungsvorgaben in den umzäunten Kleingartenkolonien waren streng und umfassen bis heute ganz genaue Vorschriften für die Gestaltung der Parzellen. Von ansatzweisen Lockerungen abgesehen lassen sich dort Elemente eines Naturgartens nicht grundlegend umsetzen. Ob mittelalterliche Heilkräutergärten, barocke Wunder der Landschaftsgestaltung oder einfache Kleingärten – immer stand und steht der Mensch mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt.

Im Naturgarten kehrt sich das Prinzip der Abschottung zur Umgebung um.

Inzwischen erlebt man eine durch den Menschen massiv bedrohte Umwelt und versucht, die beschädigte Natur in den eigenen Wirkungskreis zu holen, um sie dort zu heilen und zu erhalten. Nicht mehr die Natur ist der Feind, sondern der Mensch ist es, der die Natur zerstört. Und der Naturgarten ist eine Arche, in der sich Menschen nunmehr dafür einsetzen, dass sich das ursprüngliche Leben ungestört entfalten kann. Eine Abschirmung zur Umgebung ist nur dann nötig, wenn diese Arche durch Pestizide vom benachbarten Acker bedroht ist oder von den Abgasen einer vielbefahrenen Verkehrsstraße. Ansonsten steht der Naturgarten mit seiner Umgebung in einem regen Austausch, wenn es gilt die im Umkreis lebenden Insekten anzulocken, Käfern, Vögeln, kleinen Reptilien, Igeln und anderen nützlichen Kleinsäugern eine Oase anzubieten – einer Vielzahl von Arten, von denen einige durch die Naturzerstörung vom Aussterben bedroht sind. Das gleiche gilt für die wildwachsenden Pflanzen, von denen die meisten vom Ackerland, von den Weiden, aus der freien Landschaft und den Wäldern verschwunden sind.

Am Zusammenspiel von bestäubenden Insekten und deren Nahrungspflanzen wird das Prinzip des Naturgartens deutlich. Sehr viele Kulturpflanzen werden von der Honigbiene bestäubt, abgesehen von den Getreidearten, bei denen der Wind diesen Vorgang ermöglicht. Aber eine Vielzahl der krautigen Wildpflanzen ist genetisch spezialisiert und zu ihrer Fortpflanzung auf unterschiedliche Wildbienen angewiesen, von denen es in Niedersachsen etwa 360 Arten gibt, deutschlandweit über 500. Pflanze und Insekt brauchen einander, fällt einer der Partner aus, kann der andere langfristig nicht überleben.

Andere wichtige Bestäuber wie Schmetterlinge ernähren sich als Raupen von einheimischen Sträuchern wie Schlehe, Weißdorn oder Faulbaum, um nur drei wichtige zu nennen. Waren sie früher in den Heckenstreifen zwischen den Feldern überall vorhanden, sind sie inzwischen weitgehend verschwunden, weil sich die Felder aus Rentabilitätsgründen immer mehr vergrößert haben – eine Entwicklung mit dramatischen Folgen für die Schmetterlings-Populationen.

Im Naturgarten pflanzt man darum Hecken aus einheimischen Sträuchern.

Leider stammen viele in unseren Privatgärten verwendete Heckenpflanzen aus anderen Weltgegenden und können den Schmetterlingsraupen keine Nahrung bieten.

Und man kultiviert im Naturgarten auch die einheimischen Wildstauden in möglichst großer Vielfalt für die spezialisierten Wildbienen und als Nahrungsquelle für die geschlüpften Schmetterlinge. Als unverzichtbare Bestäuber helfen sie dann den Wildstauden neue Sämlinge auszubilden und halten den immerwährenden Kreislauf der Arten am Leben.

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